Palais Ideal – das Grabmal des Postboten

Was macht ein ganz normaler Briefträger in seiner Freizeit? In der Regel das, was Millionen andere Berufstätige auch machen. Er geht einem Hobby nach oder er baut sich in 33-jähriger Arbeit sein eigenes Grabmal.

Genau das verwirklichte der französische Postbote Ferdinand Cheval in den Jahren von 1879 bis 1912. In einem kleinen Örtchen namens Hauterives, das heute 1900 Einwohner aufweist und in der Region Auvergne-Rhone-Alpes liegt, etwa 80 Kilometer südlich von Lyon. Wieso sich Ferdinand Cheval dieser doch eher außergewöhnlichen Aufgabe mit solcher Hingabe widmete, hängt vermutlich mit seinem Leben zusammen, in dem der Tod eine dominierende Rolle einnimmt. Schon mit 17 Jahren ist der Sohn eines Kleinbauern Vollwaise. Später heiratet er, aber sowohl seine erste Frau wie auch sein erstes Kind sterben. Später trifft dieses Schicksal auch seine fünfzehnjährige Tochter aus zweiter Ehe. Cheval beschäftigt sich mit dem Tod zuerst in Gedanken, dann, mit 44 Jahren, beginnt er die Manifestierung seiner eher düsteren Träume. Langsam entsteht das Palais Ideal. Dabei lernte er niemals ein Bauhandwerk. Zuerst probierte Cheval sich als junger Mann in einer Bäckerlehre, verschwand dann für sechs Jahre spurlos und tauchte wieder auf, um in Hauterives als Postbote zu beginnen. Bis heute ist nicht geklärt, wo er in den sechs Jahren war.

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Palais Ideal | ©: Bild von Alex Olzheim auf Pixabay

Das Schloss aus Steinen

In den vielen Jahren baute einzig und allein Cheval an seinem fantastischen Grabmal, nur mit Zement, Kalk und Naturstein. Das Ergebnis ist ein Bauwerk, das herkömmliche Vorstellungen sprengt. Figuren aus verschiedenen Religionen bevölkern die Wände, Treppen führen in tiefe Gruften herab und überall weisen kühne Säulen mit reichen Verzierungen in den Himmel.

Zuerst musste Cheval den Spott der Einwohner Hauterives ertragen, die mit dieser Art Architektur kaum etwas anfangen konnten. Doch schon während der Bauphase interessierten sich immer mehr Menschen dafür. Touristen kamen und schon 1905 berichteten Zeitungen über den seltsamen Einzelgänger und sein Bauwerk. Cheval wurde zum architektonischen Vorläufer der Surrealisten. Picasso reiste mehrmals an, um den Palais Ideal zu studieren. Max Ernst schuf eine Collage vom Palast, Friedensreich Hundertwasser sah in Cheval einen Vorläufer seiner eigenen Architektur und Andre Breton widmete ihm ein Gedicht.

Mit 77 noch einmal von vorne

Die französischen Behörden taten sich jedoch schwer mit Chevals Werk. Zunächst erlaubten sie ihm nicht, sich im Palais Ideal bestatten zu lassen. Dies war nur auf einem Friedhof möglich. Also krempelte der 77-jährige Rentner noch einmal die Ärmel hoch und schuf sich auf der örtlichen Begräbnisstätte ein zweites Mausoleum, für das er weitere neun Jahre Zeit benötigte, etwas kleiner als der Palais Ideal, aber genauso fantastisch. Nur zwei Jahre später, am 19. August 1924 verstarb Ferdinand Cheval im Alter von 88 Jahren und wurde in seinem Mausoleum beigesetzt.

Obwohl der Palais Ideal nicht erst nach dem Tod Chevals internationale Anerkennung erfuhr und jährlich Tausende Besucher kamen, um das Bauwerk zu bestaunen, konnte sich das französische Denkmalamt erst im Jahr 1969 dazu überwinden, den Bau unter Denkmalschutz zu stellen. Vielleicht war es den in Normen und Traditionen verharrenden Amtsträgern einfach zu unheimlich, das ein einzelner Mann ohne jede entsprechende Ausbildung so etwas Einmaliges schuf und dies auch noch in einer sehr morbiden Ausrichtung. Heute verzeichnet die Gemeinde Hauterives jährlich mehr als 100.000 Besucher, die das Lebenswerk des Postboten Cheval bestaunen und betrachten wollen. Jeder Einzelne wird sich dabei die Frage stellen, wie es ein einziger Mann ohne jede Hilfe schaffen konnte, etwas so Außergewöhnliches zu errichten. Insgesamt 42 Jahre des Lebens für zwei Bauwerke, die dem Tod gewidmet sind.

Wer sich von der wunderschön skurrilen Morbidität Chevals selbst ein Bild machen möchte, kann den Flieger bis Lyon besteigen oder beispielsweise von Stuttgart aus in rund sieben Stunden Hauterives mit dem Auto erreichen.

April 2019



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